Dienstag, 6. Oktober 2009

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Mit Links wird meist auf Wikipedia-Artikel Bezug genommen.

Samstag, 3. September 2005

1  Der Große Quintenzirkel


Dem Musikschüler ist der (kleine) Quintenzirkel geläufig: Zwölf Quinten passen in sieben Oktaven. Das ist deutlich zu sehen auf der Tastatur eines 85-tastigen Klaviers: Vom tiefsten Ton (dem »Subkontra-A«) bis zum höchsten Ton (dem »viergestrichenen A«) sind es sowohl zwölf Quinten als auch sieben Oktaven (Hörprobe).



Die Quinten des Klaviers sind bekanntlich nicht ganz »sauber«. Der Stimmer dreht den Schlüssel nicht bis »schwebungsfrei rein«, sondern stimmt die Quinte ein wenig kleiner. Wenn er das gut macht, dann findet die zwölfte Quinte (Oktavverschiebungen vorausgesetzt) wieder genau zum Ausgangston zurück.

Diese zwölftönig-gleichstufig-temperierte Stimmung ist clever, wie ihr Siegeszug um die Welt beweist. Aber ist sie die einzig denkbare Lösung?

Mathematisch gesehen kann eine Anzahl Quinten (Frequenzverhältnis 2:3) niemals gleich einer Anzahl Oktaven (1:2) sein. Hier die wichtigsten Näherungen:
  • 2 Quinten ergeben eine None, die um 203,910 Cent (einen Ganzton) größer ist als 1 Oktave.
  • 5 Quinten ergeben ein Intervall, das um 90,225 Cent (ein Limma) kleiner ist als 3 Oktaven.
  • 12 Quinten ergeben ein Intervall, das um 23,460 Cent (ein pythagoreisches Komma) größer ist als 7 Oktaven.
  • 53 Quinten ergeben ein Intervall, das um 3,615 Cent größer ist als 31 Oktaven. (Das ist ca. 1/6 Halbton und verteilt sich auf 53 Quinten.)
Die folgende Betrachtung kapriziert sich auf den letzten der erwähnten vier Fälle. 53 Quinten, in 31 Oktaven gepresst, ergeben den »Großen Quintenzirkel«. Er zeichnet sich nicht nur durch minimale Fehler aus, sondern besitzt darüber hinaus Charme, den man ihm nicht sogleich ansieht.

2  Das OQT-System


Pythagoras konstruierte seine Tonleiter auf der Basis eines reinen Quintensystems. Die dabei durch zwei Ganztöne (8:9) entstehende »pythagoreische Terz« (64:81) ist nicht eben wohlklingend. Etwa hundert Jahre nach Pythagoras entdeckte Didymos die »didymische Terz« (64:80 = 4:5), wie sie in der Obertonreihe enthalten ist (deshalb auch »reine Terz« oder »Naturterz« genannt). Der Unterschied (80:81) der beiden Terzen wird als »didymisches« oder syntonisches Komma bezeichnet.

Hier ist die pythagoreische Tonleiter der Tonleiter in reiner Stimmung gegenübergestellt, die auf Oktaven, Quinten und Terzen basiert ("OQT-System"). Das Raster ist eine gute Näherung und dient als Konstruktionshilfe. Die besondere Schreibweise wird im nächsten Kapitel erläutert.

Die Terz gewann
erst seit dem Mittelalter also lange nach Didymos — an Bedeutung; früher galt sie als dissonant. Heute ist sie im Dur-Moll-Bewusstsein fest verankert. Mit dem Hinzutreten der Terz wurde jedoch das syntonische (neben dem pythagoreischen) Komma zum Problem.

Der Wunsch war, zwölf Quinten (2:3) in sieben Oktaven (1:2) unterzubringen und zudem mit zwei Ganztönen (8:9) die Terz des Dur-Dreiklangs (4:5:6) zu erreichen eine mathematische Unmöglichkeit.

Fast alle Versuche, mit diesem Problem fertig zu werden, trachten danach, es möglichst zu verbergen. In der mitteltönigen Stimmung etwa stimmte man einige Terzen rein und verteilte den verbleibenden Fehler auf Quinten eine eindrucksvolle Huldigung an die Terz. Dafür nahm man allerdings »verbotene« Tonarten (mit »krummen« Quinten) in Kauf. Die übliche gleichstufige Stimmung nimmt die Quinten um ein Quäntchen zu klein und akzeptiert dafür – hörbar zu große Terzen (die mit einem Frequenzverhältnis von 64:80,64 (6400:8064) immerhin besser sind als die pythagoreischen mit 64:81). Der Vorteil – der J. S. Bach faszinierte – ist, dass es keine Beschränkung der Tonarten gibt.

Besteht eine Möglichkeit, ohne dieses »Zurechtschummeln« auszukommen? – Eine radikale Methode wäre es, nur reine Oktaven, Quinten und Terzen zu verwenden (andere Intervalle lassen sich davon ableiten) und mit den Folgen zu leben. Allerdings ergeben alle denkbaren Kombinationen aus diesen drei Intervallen ein Gestrüpp aus Tönen und Tonbeziehungen, das ins Unendliche geht.

Gesetzt der Fall, ein ausreichender Teil dieses Tonvorrats sei vorhanden und die Handhabung gemeistert, dann ließe sich damit sicherlich sinnvoll musizieren
natürlich auch in Dur und Moll. Was also bleibt zu tun? Entweder man wählt den Ausschnitt aus dem »Gestrüpp« so klein, dass ein Musizieren ökonomisch vertretbar bleibt, oder man schummelt doch ein wenig — allerdings (und das bitte ich zu beachten) nur akustisch, nicht semantisch.

Die Tatsache, dass der Große Quintenzirkel
sowohl für Quinten wie für Terzen dem soeben beschriebenen »Tongestrüpp« bis auf unhörbar kleine Abweichungen nahe kommt, ist ein verblüffender Zufall im Spiel der Zahlen und das eigentliche Motiv für diesen Blog.

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3  Notation der Töne


Die üblichen Tonbezeichnungen (und die Notenschrift) nehmen keine Rücksicht auf Terzen. Das e im Dur-Dreiklang c−e−g wird ebenso bezeichnet und geschrieben wie das e der Quint-/Quartfolge c−g−d−a−e. (Das wird nicht etwa durch die gleichstufige Stimmung diktiert; man unterscheidet ja auch c und his, obwohl das Klavier dafür nur eine Taste bereithält.)

Im Großen Quintenzirkel bleiben — wie im reinen Oktav-Quint-Terz-System — die Kommas (pythagoreisch und syntonisch) erhalten. Deshalb gibt es eine akustische Unterscheidung
zwischen diesen beiden e-Tönen. Wir werden also nicht darum herum kommen, eine besondere Schreibweise einzuführen.

Vorschlag: Große Anfangsbuchstaben bezeichnen Töne, die der Quintenspirale entnommen sind
– sie seien »Quinttöne« genannt; Kleinbuchstaben mit vorangestelltem »/« bzw. »\« bezeichnen »Terztöne«, die gegenüber gleichnamigen Quinttönen um ein Komma erniedrigt bzw. erhöht sind und mit anderen Quinttönen reine Terzen bilden. (Alternativ wird auch Über- und Unterstreichung verwendet, siehe Wikipedia; dort verzichtet man auf große Anfangslettern.)

Beispiel: Der C-Dur-Dreiklang wird C
−/e−G, der C-Moll-Dreiklang C−\es−G geschrieben. Damit ist auf einen Blick zu erkennen, dass /e ein Komma tiefer liegt als E und \es ein Komma höher als Es.

Pythagoreisches und syntonisches Komma sind im Großen Quintenzirkel zu einem »mittleren Komma« (1/53 Oktave) zusammengezogen.

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4  Zwölfteilung der Oktave


Das reine Oktav-Quint-Terz-System ("OQT-System") spendiert (anders als die Quintenzirkel, ob klein oder groß) den Terztönen eigene Tonorte. Die Quinttöne liegen auf der (eigentlichen) Quintenspirale. Da hier aber keine Terztöne gefunden werden, sind diese auf zwei gesonderten Spiralen (für Dur- und Mollterzen) zu denken, die die Quintenspirale begleiten. (Mit Dur- und Mollterzen sind große bzw. kleine Terzen gemeint.)

In diesem Artikel wird und das sei betont eine klare Unterscheidung gemacht zwischen den akustischen Tönen des Großen Quintenzirkels und den musikalischen Tönen des OQT-Systems. Der Große Quintenzirkel ist eine akustische Näherung an das OQT-System, das mit den erklingenden Tönen eigentlich gemeint ist.

Wir halten uns an die bewährte Zwölfteilung der Oktave. Nebenstehendes Bild zeigt eine sinnvolle Auswahl von zwölf Tönen, die sich für die Tonart C-Dur (und Umgebung) eignet. Diese »C-Skala« enthält (im Uhrzeigersinn) die Töne: \des, \as, \es, B, F, C, G, D, /a, /e, /h, /fis.

Diese zwölf Töne, in einen Oktavraum zusammengeschoben, ergeben folgende Anordnung (siehe auch Kapitel 15). Das unterlegte Raster (des Großen Quintenzirkels) dient bezüglich der reinen Stimmung als Konstruktionshilfe.

Die C-Skala enthält u. a.:

  • Quinten: \des–\as, \as–\es, B–F, F–C, C–G, G–D, /a–/e, /e–/h, /h–/fis;
  • Durterzen: \des–F, \as–C, \es–G, F–/a, C–/e, G–/h, D–/fis;
  • Mollterzen: B–\des, F–\as, C–\es, /a–C, /e–G, /h–D.

Aus Sicht des OQT-Systems sind \esB und D /a nicht unreine, sondern keine Quinten.

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5  Skalenverschiebung


Um andere Tonarten zu bedienen, die mit den Tönen der C-Skala nicht zurechtkommen, wird diese (um eine passende Anzahl Quintschritte) zur jeweiligen Tonart hin verschoben. Das ist gleichbedeutend mit der Rückung einzelner Töne um einen kleinen Betrag (ca. 1/5 Halbton).

Es folgt eine Gegenüberstellung der A-, D-, G-, C-, F-, B- und Es-Skalen. (Der Grundton jeder Skala ist hervorgehoben.)

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6  Rückungen


Beim Übergang zu einer (in der Quintenreihe) benachbarten Skala verschieben sich drei Töne. Es sind dabei zwei Arten von Rückungen zu beobachten:

Übergang
von der C- zur F-Skala:
  • D/d (abwärts): Syntonisches Komma (Quintton ⇒ Terzton);
  • \esEs (abwärts): Syntonisches Komma (Terzton ⇒ Quintton);
  • /fis\ges (aufwärts): »Kleines Komma« (gegensätzliche Terzen).
Übergang von der C- zur G-Skala:
  • B\b (aufwärts): Syntonisches Komma (Quintton ⇒ Terzton);
  • /aA (aufwärts): Syntonisches Komma (Terzton ⇒ Quintton);
  • \des/cis (abwärts): »Kleines Komma« (gegensätzliche Terzen).
In Zahlen (reines Oktav-Quint-Terz-System):


( ^ = »hoch«; C = Cent; pK = pythagoreisches Komma; sK = syntonisches Komma )

Die ersten beiden Zeilen definieren
pythagoreisches und syntonisches Komma, die dritte Zeile zeigt die Differenz aus beiden. (Dieser winzige Schritt tritt z. B. auf zwischen H und \ces, etwa beim Sprung von der A- zur B-Skala.) Zieht man diesen Wert vom syntonischen Komma ab, so erhält man das »kleine Komma«, siehe vierte Zeile.
Übrigens ist die Ähnlichkeit von 1,954 Cent mit dem Fehler der Klavier-Quinte (1,955 Cent) rein zufällig.

Im Großen Quintenzirkel sind alle Kommas gleich (nämlich 1/53 Oktave), und der »winzige Schritt« (1,954 Cent) wird demnach zu Null.

7  Verwechslungen

Die üblichen Tonbezeichnungen und die Notenschrift machen (anders als das Klavier) Unterschiede zwischen Tönen wie Fis und Ges. Im Großen Quintenzirkel haben solche Töne unterschiedliche Tonorte und sind damit (prinzipiell) unterscheidbar. Das pythagoreische Komma bleibt also erhalten.

Gleichwohl sind im Großen Quintenzirkel Verwechslungen möglich, da ja unterschiedliche Töne zusammengelegt wurden. So hat z. B. der Ton /e, der eine große Terz über C liegt, denselben Tonort wie Fes. Mit anderen Worten: Die Differenz zwischen pythagoreischem und syntonischem Komma wird im Großen Quintenzirkel akustisch zu Null.

Das hat Vor- und Nachteile. Einerseits kommt man mit 53
(statt ∞) Tönen pro Oktave aus. Andererseits sind eben (versehentlich oder mutwillig) Verwechslungen möglich wie die folgende. Die C-Dur-Tonleiter klingt mit beiden Schreibweisen gleich:

  • »Semantisch«: C − D − /e − F − G − /a − /h − C
  • »Physikalisch«: C − D − Fes − F − G − Heses − Ces − C

Unnötig zu sagen, dass die semantische Schreibweise vorzuziehen ist. Sie ist die einzig richtige, denn im reinen OQT-System fallen solche Töne nicht zusammen.

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8  Zwölfstern und Tapete


Die C-Skala (C \des D \es /e F /fis G \as /a B /h) lässt sich auch kreisförmig anordnen, wobei die eingezeichneten Quinten einen attraktiven Stern ergeben. Hier wird sinnfällig, dass die Skala nach Bedarf verschiebbar (drehbar) ist, um die übrigen 52 Tonarten zu bedienen. Wie schon gesagt, ändern sich beim Übergang von der C- zur G- oder F-Skala lediglich drei der zwölf Töne.

Die Stern-Darstellung zeigt zwar eindeutig die Positionen der Töne im Zirkel, sie ist jedoch nicht geeignet, die Charakteristika von Tonleitern deutlich zu machen. Deshalb ist eine übersichtlichere Darstellung wünschenswert, die zudem die kleinen durch Skalenverschiebung auftretenden Intervalle (Kommas) darstellen kann.

Das folgende Bild zeigt die zwölftönige C-Skala, aus der die siebentönige C-Dur-Tonleiter gebildet wird, in »
Tapeten-Darstellung«. (Der Grundton C erscheint eine Oktave höher nochmal.)

Zur Konstruktion: Horizontal ist die Oktave in 53 Teile gerastert. Es sind 53 Linien-Knotenpunkte (mögliche Tonorte) pro Oktave zu erkennen. Die vertikalen Abweichungen von der (nicht gezeichneten, Anfangs- und Endpunkt der Tonleiter verbindenden) horizontalen Mittellinie sind ein Maß für die Abweichung von der Zwölftel-Oktave. (Das heißt, die Klaviertöne lägen auf dieser horizontalen Linie.) Linien, die am oberen Rand (bei +50 Cent) verschwinden, kommen von unten (bei –50 Cent) wieder ins Bild und umgekehrt. (Die vertikale Rasterung wurde nicht in Cent gewählt, sondern im Hinblick auf einfache Konstruktion.)

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9  Vermeidung krummer Quinten

Hier sind die D-, G-, C-, F-, und B-Skalen abgebildet, die zueinander im Quint/Quart-Verhältnis stehen. Die Grundtöne sind farblich hervorgehoben. Es ist zu erkennen, dass sich beim Übergang zur Nachbarskala nur drei Töne ändern. — Die grünen Linien in G- und F-Skala sind Quinten (D−A und d−a); die rote Linie (D−a) in der C-Skala dagegen ist keine Quinte.


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10  Referenz C-Dur


Die soeben besprochene Tapete zeigt »alles« (sämtliche Tonorte des Großen Quintenzirkels), sie ist aber etwas unhandlich. Für die Darstellung von Tonleitern – es handelt sich ja nur um sieben aus zwölf Skalentönen – ist meist eine schematisierte Darstellung günstiger, die sich an der Dreifach-Spirale orientiert (siehe Kapitel 4 »Zwölfteilung der Oktave«).

Die mittlere Zeile enthält »Quinttöne« (C, D, F, G, B, C, in reiner Stimmung der Quintenspirale angehörend); die obere Zeile zeigt »Mollterztöne« (\des, \es, \as, gegenüber gleichnamigen Quinttönen um ein syntonisches Komma erhöht), die untere »Durterztöne« (/e, /fis, /a, /h, gegenüber gleichnamigen Quinttönen um ein syntonisches Komma erniedrigt). Wie bereits erläutert, fallen im Großen Quintenzirkel die Tonorte der Terztöne mit denen von Quinttönen zusammen. Da sie semantisch verschieden sind, werden Begriffe wie »Quinttöne« und »(Dur-/Moll-)Terztöne« beibehalten.

Es
ist (wie schon im Kapitel 4) die zwölftönige C-Skala dargestellt. Hier sind die Töne der C-Dur-Tonleiter (C, D, /e, F, G, /a, /h, C) hervorgehoben. (Nicht verwendet werden: \des, \es, /fis, \as und B.). Eine Mensur zeigt die genauen Tonabstände im Großen Quintenzirkel sowie die Zuordnung der Tonorte zur Tastatur.

Die C-Dur-Tonleiter eignet sich als Referenz für alle weiteren zu besprechenden Tonleitern, da sie den »weißen Tasten« entspricht und in der Notenschrift keine Vorzeichen benötigt.


Anmerkung: Ton B steht in gewisser Konkurrenz zu Ton \b. (Darauf wird sogleich näher eingegangen.) Bei Bedarf kann die G-Skala verwendet werden, die \b statt B enthält.

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11  Probleme mit Moll


Die Dur-Tonleiter ist eine »klare Sache«; bei Moll wird es komplizierter. Nach gängiger Lehre gibt es verschiedene Moll-Tonleitern: rein, harmonisch, melodisch (aufwärts und abwärts verschieden), Zigeuner-Moll. Es macht keinen besonderen Unterschied, ob man diese Leitern als eigenständig oder als Varianten der reinen Moll-Tonleiter ansieht; jedenfalls ist Moll variantenreicher.

Nach gängiger Lehre verwendet die A-Moll-Tonleiter den Tonvorrat der C-Dur-Tonleiter. Die beiden gelten als »Paralleltonarten«. Das lässt sich im
Großen Quintenzirkel so einfach nicht aufrecht erhalten, denn die C-Dur-Tonleiter verwendet den Terzton /a, der ein syntonisches Komma höher liegt als der Quintton A. (Wir kommen noch darauf zurück.)

Außerdem benötigt die reine Moll-Tonleiter den Ton \b (als Quinte über \es), der in der C-Skala nicht vorhanden ist. Aber B ist als kleine Septime im Dur-Akkord unverzichtbar. (C−/e−B löst sich nach F−F−/a auf, wobei sowohl /e−F als auch B−/a diatonische Halbtöne sind.)


Zum Moll-Dreiklang C−\es−G passt B hingegen nicht, weil \es–B keine Quarte ist. Die kleine Septime ist also in Dur und Moll verschieden. Nicht genug damit: Die melodische Moll-Tonleiter braucht aufwärts das /a der C-Skala, abwärts das \b der G-Skala.

Man könnte auf die Idee verfallen, neben der beschriebenen Skala noch eine Moll-Skala einzuführen, die statt dem B das höhere \b enthält, um der melodischen Moll-Tonleiter den Skalenwechsel zu ersparen. Auf diese Komplizierung des Systems soll allerdings nicht weiter eingegangen werden.

Für die folgenden Tonleitern kommt, je nach Bedarf, die C- oder die G-Skala zum Einsatz.


12  Tonleitern


C-Skala
C-Dur-Tonleiter
C—D—/e—F—G—/a—/h—C



G-Skala
Reine C-Moll-Tonleiter
C—D—\es—F—G—\as—\b—C



C-Skala
Harmonische C-Moll-Tonleiter
C—D—\es—F—G—\as—/h—C



G-Skala
Harmonische C-Moll-Tonleiter
C—D—\es—F—G—\as—/h—C



C-Skala
Melodische C-Moll-Tonleiter
aufwärts (abwärts wie reine)
C—D—\es—F—G—/a/h—C


C-Skala
Zigeuner-Moll-Tonleiter in C
C—D—\es—/fis—G—\as—/h—C



G-Skala
Zigeuner-Moll-Tonleiter in C
C—D—\es—/fis—G—\as—/h—C



C-Skala
Spanische Tonleiter in C
C—\des—/e—F—G—\as—B—C



C-Skala
Arabische Tonleiter in C
C—\des—/e—F—G—\as—/h—C



13  Der Tritonus


Der Tritonus ("übermäßige Quarte") bezeichnet ein Intervall, das aus drei Ganztönen besteht. So weit sind sich alle Chronisten einig.

Die Umkehrung (Ergänzung zur Oktave) der übermäßigen Quarte ist eine verminderte Quinte, und hier beginnt üblicherweise die Schlamperei: Man belegt auch gern dieses Intervall mit der Vokabel "Tritonus" — weil das Klavier akustisch nicht unterscheidet. Diese Praxis ist hier jedoch verpönt.

Die übliche Notenschrift, die auf Quintverwandtschaft setzt, macht einen deutlichen Unterschied zwischen dem Tritonus und seiner Umkehrung. Im OQT-System kommt noch ein Weiteres hinzu: Es werden zweierlei Ganztöne unterschieden (8:9 und 9:10).

Die Bedeutung der übermäßigen Quarte liegt weniger im Aufeinanderschichten von Ganztönen als darauf, dass sie einen diatonischen Halbton kleiner ist als die Quinte. Und so gesehen handelt es sich beim Tritonus nicht um die drei Schritte C — D — E — Fis, sondern vielmehr um C — D — /e — /fis (das ist in Schwingungsverhältnissen: 8:9 — 9:10 — 8:9).

Der Tritonus steckt im Septakkord. In C
— /e — G — B ist /e — B enthalten, eine verminderte Quinte, deren Umkehrung B — /e eine übermäßige Quarte (eben der Tritonus) ist. Man lasse sich nicht täuschen: B — /e ist schnell in /e — B verwandelt, nicht jedoch in B — \dis.

Es ist gefragt worden, warum die C-Skala B enthält und nicht \b. Der Grund ist die Auflösung des Septakkords C — /e — B nach C — F — /a, wobei zwei Töne um einen diatonischen Halbton rücken. (Der wichtige diatonische Halbton ist die Differenz von der Durterz zur Quarte.)

14  Halbtongleiten


Sollten Sie Monsieur Hulot kennen, so kennen Sie sicherlich auch diese Melodie (Hörprobe). Im zweiten Takt schon haben Sie ein gutes Beispiel für Halbtongleiten, wie es häufig zu hören ist.

Ein weiteres Beispiel:
Die Harmoniefolge C — A7 — D7 — G7 — C), auf einer Gitarre gespielt, lässt scheinbar einen Tritonus über die Bünde gleiten (oft mitsamt dem Basston — dazu gleich mehr).

Im OQT-System wird das jedoch nicht klappen. Schon in der üblichen Notenschrift wird durch die Vorzeichen deutlich, dass es sich nicht um ein einfaches Gleiten handelt, denn im dritten Akkord steckt eine übermäßige Quarte, im zweiten und vierten Akkord dagegen eine verminderte Quinte. Im kleinen Quintenzirkel fällt das nicht auf, aber im Großen Quintenzirkel macht sich das pythagoreische Komma bemerkbar.

Zudem muss auch das syntonische Komma berücksichtigt werden. Wenn Sie das obige Bild großklicken, sehen Sie die Komma-Vorzeichen, die die jeweils nachfolgende Note um ein Komma erniedrigen. Die erniedrigten Töne (/e, /cis, /fis, /h) sind die Dur-Terzen zu den Grundtönen (C, A, D, G).

Den vier Akkorden kann noch eine Linie C — E — D — D aufgesetzt werden, die sich in die Linie C — \es — D — \des alterieren lässt (-> Bild). Durch Verschieben dieser Töne in die unterste Stimme ergibt sich die oben erwähnte Situation: Gleiten eines Akkords mitsamt dem Bass. Das Verführerische daran ist, dass — auf Grund oft gehörter Praxis — diese Basstöne als Grundtöne der Akkorde empfunden werden, die halbtonweise nach unten gleiten. Das OQT-System und der Große Quintenzirkel kennen allerdings keine halben Ganztöne, und was Sie hier hören (Hörprobe), hat mit der Zwölftel-Oktave nichts zu tun.

Übrigens eignen sich für die Akkorde 2 und 4 (A — /cis — G — /es und G — /h — A — /des) die Skalen D und C.

15  Prioritäten

Die C-Skala (wie in Kapitel 4 beschrieben) ist aus einer Quintenreihe abgeleitet:

Die Töne Ges und Fis (bzw. \ges und /fis) stehen dabei in einer gewissen Konkurrenz; man musste sich für einen von beiden entscheiden. — Die Definition der C-Skala, wie sie in Wikipedia zu finden ist, lautet sinngemäß :

Diese Definition führt zum selben Resultat: /fis statt \ges . Wenn \ges gebraucht wird, kann auf eine Nachbarskala gewechselt werden.

Hier ist noch einmal das Notenbeispiel aus dem letzten Kapitel: Die Akkorde 2 und 4 sind etwas fragwürdig, denn sie lassen /cis und \es bzw. /h und \des gleichzeitig erklingen, wobei der Abstand jeweils zwei diatonische Halbtöne beträgt. Mit /dis statt \es bzw. /cis statt \des würden diese Akkorde in die A- bzw. G-Skala passen (ohne auf die D- bzw. C-Skala ausweichen zu müssen). Warum also \es und \des? — Wie im letzten Kapitel schon angedeutet, entstand die Linie C — \es — D — \des durch Alterierung von C — E — D — D, und die Semantik ist nun einmal wichtiger als das Trachten nach Konsonanz. Der akustische Unterschied ist ohnehin gering (Hörprobe).

Heute wird die Kühnheit von J. S. Bach nicht mehr so deutlich empfunden wie zu seiner Zeit: Er mutete den Ohren eine Menge nicht dagewesener Dissonanzen zu, die sich aus der Polyphonie ergaben. Und damit hat er meine Sympathie.